Warum eine Replik der 3.600 Jahre alten Himmelsscheibe von Nebra ins All geschickt wurde
Als die Besatzung der jüngsten SpaceX-Mission am Donnerstag, den 11. November, vom Kennedy Space Center der NASA abhob, hatte der in Deutschland geborene Astronaut Matthias Maurer eine Nachbildung eines der bekanntesten archäologischen Artefakte Deutschlands dabei. Man könnte sagen, dass dieser historische Flug in Wirklichkeit der „Raumflug der Himmelsscheibe von Nebra“ war. Eine Nachbildung der antiken Himmelsscheibe von Nebra, der ältesten tragbaren Karte des Nachthimmels, die jemals gefunden wurde, wurde von Herrn Maurer mit auf den Flug genommen. Außerdem wird das echte Artefakt ab Februar 2022 in einer großen Stonehenge-Ausstellung im British Museum zu sehen sein.
Maurer war als Vertreter der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zusammen mit drei NASA-Astronauten auf dem Flug der Himmelsscheibe von Nebra zur Internationalen Raumstation unterwegs. Maurer hat das sechsmonatige Weltraumprojekt selbst als „Cosmic Kiss„-Mission bezeichnet, die mit einem eigenen Logo versehen ist, das auf der Himmelsscheibe von Nebra basiert.
Während der Cosmic Kiss-Mission wird Maurer außerdem zu verschiedenen Zeitpunkten Bildungsveranstaltungen im Fernsehen abhalten, in denen er die Bedeutung der Himmelsscheibe von Nebra erläutert, die 1999 von Artefaktjägern in der Nähe des Dorfes Nebra in Sachsen-Anhalt gefunden worden war. Die Scheibe wurde bei einer illegalen Ausgrabung mehrerer bronzezeitlicher Objekte aus der Zeit um 1600 v. Chr. entdeckt, die schließlich alle von den deutschen Behörden sichergestellt wurden.
Der Weltraumflug mit der Himmelsscheibe von Nebra wurde vom deutschen Astronauten Matthias Maurer als Cosmic Kiss-Mission bezeichnet, und das Logo ist der antiken Scheibe nachempfunden. (ESA)
Von der Entdeckung bis zum Raumflug der Himmelsscheibe von Nebra
Die UNESCO, die die Himmelsscheibe von Nebra in ihr Verzeichnis „Memory of the World“ aufgenommen hat, bezeichnet die antike Himmelskarte als „einen der wichtigsten archäologischen Funde des 20. Jahrhunderts“.
Die kreisförmige Scheibe oder Platte wurde aus Bronze gefertigt und wiegt stolze 2,2 Kilogramm. Sie hat eine glänzende blau-grüne Oberfläche und ist mit Goldstücken eingelegt, die zu Figuren geformt sind, die jeder kennt, der schon einmal in den Nachthimmel geschaut hat.
Oft dauert es Monate oder Jahre, bis Archäologen die geheimnisvollen Markierungen oder Bilder auf gefundenen antiken Gegenständen entschlüsseln können. Bei der Himmelsscheibe von Nebra hatten sie jedoch keine derartigen Probleme, die Bedeutung der visuellen Darstellung auf der Vorderseite zu entschlüsseln.
Diese bemerkenswert gut erhaltene 30 Zentimeter große Himmelskarte zeigt klare und unverwechselbare Darstellungen von Sonne und Mond sowie zahlreiche Sterne. Unter letzteren befindet sich ein Sternhaufen, bei dem es sich um das Sternbild der Plejaden zu handeln scheint, das in den mythologischen Traditionen der alten Griechen und der australischen Ureinwohner eine wichtige Rolle spielt.
Die Scheibe weist außerdem goldene Markierungen auf, die vermutlich die Sommer- und Wintersonnenwende darstellen. Dies verdeutlicht die wahrscheinliche Verwendung des Objekts als eine Kombination aus Sternenkarte und Kalender. Die Sonnenwenden markieren die klare Trennung der Jahreszeiten und waren daher wichtige Markierungen für die landwirtschaftlichen Völker der Bronzezeit, die den richtigen Zeitpunkt für die jährliche Aussaat ihrer Felder wissen mussten.
In ihrer Form und Gestaltung ähnelt die Scheibe vielen Erdwerken und Megalithen aus der Jungsteinzeit und der Bronzezeit, die errichtet wurden, um die Bewegungen der Sonne und andere astronomische Phänomene zu verfolgen. Die Scheibe könnte sehr wohl eine tragbare Version von Monumentalbauten wie Stonehenge darstellen, die für diejenigen geschaffen wurde, die keinen Zugang zu einem echten Bauwerk hatten. Sie könnte nach dem Vorbild einer noch nicht entdeckten bronzezeitlichen Megalithanlage in Deutschland gebaut worden sein.
Die Datierung der Himmelsscheibe von Nebra ist nicht unumstritten. Im Jahr 2020 erklärten Archäologen der Goethe-Universität Frankfurt und der Ludwig-Maximilians-Universität München, die die Scheibe untersucht hatten, dass es sich um ein eisenzeitliches Artefakt handelt, das 1 000 Jahre später als bisher angenommen hergestellt wurde.
Die Experten, die die Scheibe am genauesten untersucht haben, bleiben jedoch bei ihrer ursprünglichen Schlussfolgerung, dass es sich um ein authentisches Relikt aus der Bronzezeit und die älteste jemals gefundene Darstellung des Nachthimmels handelt.
Nachbildung der Fundsituation der Himmelsscheibe von Nebra für die große deutsche Museumsausstellung „Der geschmiedete Himmel“ im Jahr 2004. (Christian Reinboth / CC BY-SA 4.0)
Die europäischen Handelsnetze der antiken Únětice-Kultur
Die Himmelsscheibe von Nebra wurde in einer Region in Mitteldeutschland vergraben gefunden, was sie mit der Únětice-Kultur in Verbindung bringt, die in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. in ganz Mitteleuropa verbreitet war.
Diese Kultur ist nach einem Dorf in der Tschechischen Republik benannt, in dem die ersten mit der Únětice-Kultur in Verbindung gebrachten Artefakte ausgegraben wurden. Inzwischen wurden mehr als 2 500 Fundstätten der Únětice-Kultur entdeckt, vor allem in der Tschechischen Republik, in der Slowakei, in Polen und in Deutschland (in letzterem Land wurden etwa 500 Fundstätten entdeckt).
Es scheint, dass die Únětice friedliche Beziehungen zu ihren Nachbarn pflegten. Sie bauten ein ausgedehntes Handelsnetz auf, das ihren Einfluss auf ein großes Gebiet des europäischen Kontinents ausdehnte. Artefakte aus Bronze und Keramik, die von Únětice-Handwerkern hergestellt wurden, sind in Gebieten gefunden worden, in denen sie keine Siedlungen hatten, darunter Skandinavien, Irland, der Balkan und die italienische Halbinsel.
Röntgenfluoreszenztests, die 2011 an der Himmelsscheibe von Nebra durchgeführt wurden, haben den Beweis erbracht, dass das Handels- und Tauschnetz von Únětice tatsächlich eine beeindruckende Strecke zurückgelegt hat. Zur großen Überraschung der an der Untersuchung beteiligten Wissenschaftler stellte sich heraus, dass das Gold, das zur Herstellung der eingelegten Bilder auf der Scheibe verwendet wurde, aus dem Fluss Carnon in Cornwall, England, stammt. Nebra ist mehr als 1.350 Kilometer Luftlinie von Cornwall entfernt, was für Händler und Kaufleute vor 3.600 Jahren eine ziemliche Entfernung gewesen sein muss.
Die Ergebnisse der Forschungen rund um die Himmelsscheibe werden bis Januar 2022 im Rahmen der Ausstellung „DIE WELT DER HIMMELSSCHEIBE VON NEBRA – NEUE HORIZONTE“ im Landesmuseum für Vorgeschichte ausgestellt.
Bild oben: Die Astronauten des Raumfluges der Himmelsscheibe von Nebra, der auch als Cosmic Kiss-Mission bekannt ist, mit dem deutschen Astronauten Matthias Maurer ganz links. Quelle: DBACHMANN / CC BY-SA 3.0 / ESA
Von Nathan Falde
- Zum Verfassen von Kommentaren bitte Anmelden oder Registrieren.