Ist dies das Gesicht von Krijn, dem ersten Neandertaler der Niederlande?
Der erste Neandertaler, der in den Niederlanden gefunden wurde und den die Wissenschaftler Krijn nennen, ist jetzt zu neuem Leben erweckt worden. Zwei "Paläo-Künstler", die sich auf die naturgetreue Rekonstruktion versteinerter Exemplare spezialisiert haben, haben dem niederländischen Nationalmuseum für Altertümer (Rijksmuseum van Oudheden) eine Skulptur des Gesichts dieses jungen Neandertalers zur Verfügung gestellt. Die Gebrüder Kennis aus Arnheim in den Niederlanden haben sich dafür entschieden, Krijn mit einem breiten Lächeln darzustellen, das dem üblichen mürrischen Bild unserer längst ausgestorbenen evolutionären Vettern entgegengesetzt ist.
Der erste Neandertaler in den Niederlanden
Als vor mehr als einem Jahrzehnt an einem Strand in der niederländischen Provinz Zeeland ein Stück Schädelknochen eines Neandertalers gefunden wurde, hätte sich niemand träumen lassen, dass es möglich sein würde, anhand eines so kleinen Fragments herauszufinden, wie dieser Neandertaler aussah. Aber Wissenschaftler haben durch die Untersuchung verschiedener versteinerter Skelette aus der ganzen Welt viel über die Merkmale des Neandertalers gelernt. Dies hat es ihnen ermöglicht, genaue Schätzungen über das Aussehen des Neandertalers zu machen, sowohl allgemein als auch für bestimmte Skelettfunde.
Der fossile Augenbrauenbogen des Neandertalers Krijn (© Servaas Neijens/Rijksmuseum)
Wissenschaftler der Universität Leiden und des Max-Planck-Instituts in Leipzig haben das am Strand von Zeeland gefundene Schädelfragment mehrere Jahre lang untersucht. Anhand der gesammelten Informationen konnten sie digitale Bilder davon erstellen, wie Krijn wahrscheinlich aussah. Diese Bilder erwiesen sich als äußerst nützlich für Alfons und Adrie Kennis, die eine detaillierte dreidimensionale Annäherung an Krijns Aussehen erstellen konnten, die nach Ansicht von Experten sehr genau ist.
Eine der Phasen beim Bau des Gesichts (© Kennis & Kennis Reconstructions / Rijksmuseum)
Wer war Krijn der Neandertaler?
Das Schädelfragment von Krijn war ursprünglich auf dem Grund der Nordsee vergraben. Es wurde bei Baggerarbeiten vor der westniederländischen Küste freigelegt und an Land gespült, wo es 2009 von dem Amateurpaläontologen Luc Anthonis entdeckt wurde. Anthonis leitete das Schädelfragment an das Nationale Museum für Altertümer in Leiden weiter, wo es als Knochen eines Augenbrauenkamms identifiziert wurde, der zu einem Neandertaler gehörte, der vor etwa 50 000 bis 70 000 Jahren lebte.
Dies war eine bemerkenswerte Entdeckung, denn es handelte sich um den ersten Beweis für die Anwesenheit des Neandertalers in den Niederlanden überhaupt.
Eine eingehendere Untersuchung durch die Wissenschaftler der Universität Leiden und des Max-Planck-Instituts ergab noch mehr Details über das Schädelfragment und seinen prähistorischen Besitzer. Sie stellten fest, dass das Fragment von einem jungen Mann von stämmiger Statur stammte. Eine Untersuchung der im Knochen eingeschlossenen Isotope zeigte, dass der junge Mann sich hauptsächlich von Fleisch ernährte, was für jemanden, der in einer Neandertaler-Jäger-Sammler-Gesellschaft in der Vorzeit lebte, zu erwarten wäre.
Im Inneren des Augenbrauenkammknochens fanden die Wissenschaftler einen ungewöhnlichen ausgehöhlten Bereich, von dem sie annahmen, dass er von einer Art Tumor besetzt war. Dieser Tumor war völlig gutartig und hatte, abgesehen von seiner Auswirkung auf Krijns Aussehen (er hätte eine Schwellung über seinem Auge verursacht), keine Auswirkungen auf seine Gesundheit.
Ein solcher Tumor wurde noch bei keinem anderen Neandertaler gefunden, und sein Vorhandensein half den Gebrüdern Kennis, eine Gesichtsrekonstruktion zu schaffen, die unter den Neandertaler-Skulpturen völlig einzigartig ist.
Man beachte die Beule über Krijns rechtem Auge, die den Tumor darstellt, der auf dem Schädelfragment zu erkennen war. (© Servaas Neijens / Rijksmuseum)
Neandertaler-Abenteuer im Doggerland
Obwohl die Skelettreste technisch gesehen auf niederländischem Boden gefunden wurden, stammen sie ursprünglich aus der niederländischen Nordsee. Krijns Überreste wurden auf dem Grund des Meeres verschüttet, was etwas sehr Wichtiges über seine Vergangenheit verriet.
Im Laufe der letzten Eiszeit stieg und fiel der Meeresspiegel mit dem abwechselnden Vorrücken und Zurückziehen der Gletscherdecke der Erde. Als Krijn lebte, war der Meeresspiegel in der nördlichen Hemisphäre relativ niedrig, und in der Nordsee lag er 50 Meter unter dem heutigen Stand. Die Nordsee war damals viel kleiner, und in ihrem heutigen südlichen und westlichen Teil legte die Absenkung des Meeresspiegels eine Landbrücke frei, die die Inseln des Vereinigten Königreichs mit dem europäischen Festland verband.
Diese Landbrücke ist als Doggerland bekannt und lag direkt westlich der heutigen niederländischen Küstenprovinz Zeeland. Auch wenn Krijn und sein Volk durch niederländisches Gebiet reisten, starb er im Doggerland, wo er sich vermutlich die meiste Zeit mit seinem Volk aufhielt.
Während der letzten Eiszeit blieb Doggerland zehntausende von Jahren über dem Meeresspiegel. Sogar nach dem Ende der Eiszeit, 9.700 v. Chr., blieb es noch eine Zeit lang über Wasser. Der letzte Teil seiner Landfläche versank etwa 5 800 v. Chr. unter der Oberfläche der Nordsee, d. h. einige tausend Jahre, nachdem die Landbrücke über die Beringstraße, die Asien mit Amerika verband, in den Fluten des Pazifiks verschwand.
Im Laufe seiner langen Geschichte entwickelte sich auf Doggerland ein blühendes und vielfältiges Ökosystem. Neandertaler lebten neben Mammuts, Wollnashörnern, Rentieren, Wildpferden und vielen anderen großen Landtieren, die in prähistorischer Zeit weit in der nördlichen Hemisphäre umherzogen. Der moderne Mensch kam schließlich auch auf Doggerland an und lebte dort bis zum Ende als Jäger und Sammler.
Neandertaler lebten eine Zeit lang mit modernen Menschen auf Doggerland. Doch die Neandertaler starben lange vor Doggerland aus, so dass Krijns Volk den endgültigen Untergang seiner Heimat nicht mehr miterlebte.
Niederländische Archäologen und Paläontologen wissen, dass Doggerland viele Geheimnisse birgt, die es zu lüften gilt. Leider ist die Unterwasserforschung in der Nordsee teuer und schwierig, da das Wasser trüb ist und die faszinierendsten Schätze von Doggerland in großer Tiefe vergraben sind. Bislang sind die Unterwasserüberreste von Doggerland noch weitgehend unzugänglich, so dass die Wissenschaftler auf Bagger- und Fischereiaktivitäten angewiesen sind, um gelegentlich interessante Exemplare oder Artefakte zu finden.
Bild oben: Das rekonstruierte Gesicht von Krijn, dem Neandertaler aus Doggerland. Quelle: © Servaas Neijens / Rijksmuseum
Von Nathan Falde
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