Erst vor 150 Jahren wurden prähistorische "Pfahlbauten" entdeckt und die Vergangenheit Europas vor dem Aufkommen des geschriebenen Wortes ist in zahlreichen Seen und Feuchtgebieten im gesamten Alpenvorland gut erhalten geblieben. Eine dieser Stätten wurde im Pfahlbaumuseum in Deutschland für das moderne Auge wiederhergestellt.
Wie im Pfahlbaumuseum gezeigt wird, bieten diese Stätten der Alpenregion den Fachleuten eine einzigartige Gelegenheit, das Leben in frühen Gesellschaften zu rekonstruieren und die fehlende Verbindung zwischen den Jägern und Sammlern der Vorgeschichte und den ersten europäischen Zivilisationen herzustellen.
Pfahlbaumuseum, Deutschland. (Public Domain)
Insgesamt gibt es 111 Stätten, sechsundfünfzig davon in der Schweiz, die übrigen in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien und Slowenien, die tief in Seen liegen oder an Seeufern begraben sind. Sie wurden im Juni 2011 in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Entwicklung von Siedlungsgemeinschaften so deutlich erhalten. Aufgrund ihrer Lage im wassergesättigten Boden sind Bauhölzer, Speisereste, Holzwerkzeuge und sogar Kleidungsstücke erhalten geblieben.
Die Ursprünge der Landwirtschaft liegen etwa 12 000 Jahre zurück und begannen im Nahen Osten im „Fruchtbaren Halbmond“. Die Techniken und Kenntnisse gelangten schließlich nach Mitteleuropa.
Tierknochen, die in den Siedlungsschichten gefunden wurden, zeigen, dass kleine Herden von Rindern, Schweinen, Schafen und Ziegen die Siedler mit Fleisch und verwertbaren Rohstoffen versorgten. Die Herden deckten nur einen begrenzten Bedarf, Milch und Käse wurden in geringen Mengen konsumiert. Mit der Zeit konnten die Menschen dank der Einführung von Pfeil und Bogen auch wilde Tiere jagen. Sie sammelten auch Beeren, Nüsse und Wildfrüchte, Vogeleier und Honig - eine Delikatesse. Natürlich fischten sie auch.
Bereits um 5000 v. Chr. errichteten die Menschen an den Ufern der norditalienischen Alpenseen einfache Häuser. Und ab 4300 v. Chr. breiteten sich die Pfahlbausiedlungen über die Alpen aus.
Begehrte Standorte wurden wieder genutzt, und die Überreste neuer Siedlungen lagen oft auf alten, was wertvolle Informationen über deren Entwicklung im Laufe der Zeit liefert. Jahrringanalysen der erhaltenen Bauhölzer ermöglichten eine genaue Datierung einzelner Häuser oder ganzer Dörfer.
Die Siedler variierten die Höhe der Böden in Abhängigkeit von den wechselnden Wasserständen der Seen. In Mooren und an den Ufern kleinerer Seen wurden die Böden direkt auf den Boden gelegt oder leicht erhöht, während an den großen Seen im Voralpenland Pfahlbauten mit erhöhten Böden errichtet wurden.
Rekonstruktion von Treppen zu einer Pfahlwohnung. (Gebhardt, C / CC BY 4.0)
Der Grundriss der Dörfer variierte insofern, als einige Häuser in Reihen angeordnet und gleichzeitig geplant und gebaut wurden, während andere in Gruppen angeordnet waren und sich spontan entwickelten. Die Innengestaltung hing von der Tradition und den regionalen Vorlieben ab. Ursprünglich wurden die Häuser weniger als 20 Jahre lang genutzt, bevor sie wieder aufgebaut wurden. Erst in der späten Bronzezeit, als sich die Baumethoden weiterentwickelten, überdauerten einige Häuser fast 100 Jahre.
In den Seen wurden zahlreiche Einbäume, die frühesten Transportmittel der Pfahlbauer, gefunden. Ebenfalls gefunden wurden die frühesten erhaltenen Räder in Europa, die etwa 5200 Jahre alt sind und an zweirädrigen, von Ochsen gezogenen Karren verwendet wurden. Ab etwa 3400 v. Chr. wurden mit diesen Wagen Baumaterialien und landwirtschaftliche Erzeugnisse transportiert.
Tausende von Pfählen, die in der Nähe des Dammes gefunden wurden, zeigen, dass mindestens sechs Stege die Untiefen zwischen dem Zürichsee und dem Obersee überquerten und die seit 2000 v. Chr. fast einen Kilometer voneinander entfernten Seeufer miteinander verbanden. In der offenen Landschaft war der Transport von Gütern auf Karren möglich, und bei niedrigem Seespiegel wurden anstelle von Kanus Fußgängerbrücken benutzt.
Pfahlbaumuseum, Deutschland. (Marc Kunze /Adobe Stock)
Feuerstein war ein wertvoller Werkstoff, der zur Herstellung von Pfeilspitzen, Bohrern, Messern und sogar Dolchen verwendet wurde. Neben lokalem Feuerstein wurde auch hochwertiger Feuerstein aus entfernten Regionen importiert. Schmuck aus Muscheln oder Bernstein sowie importierte Töpferwaren zeigen, dass die Menschen vor 6000 Jahren Hunderte von Kilometern quer durch Europa Handel trieben.
Selbst verderbliche Gegenstände wie Flechtwerk und gewebte Pflanzenfasern überlebten unter den Bedingungen der Feuchtgebietssiedlungen. Schalen und Becher wurden meist aus Ahornholz hergestellt. Komplexere Gegenstände aus Rindenstreifen wurden mit Bast zusammengenäht.
Pfahlbauer-Keramik im Pfahlbaumuseum ausgestellt. (CC BY 3.0)
Gut erhaltene Textilfunde gehören zu den großen Schätzen der Pfahlbauforschung. In seltenen Fällen haben Wollstoffe überlebt, ebenso wie Hüte, Schuhe, Gürtel und Fragmente von Umhängen.
In den Pfahlbausiedlungen wurden mehrere Objekte wie durchlöcherte Zähne und Knochen entdeckt, die für Anhänger gehalten werden. Perlen aus Kalkstein, Bernstein oder Glas wurden entweder an der Kleidung befestigt oder als Halsketten getragen.
Die ersten Kupferschmuckstücke tauchten bereits 4000 v. Chr. auf. In der Bronzezeit nahm die Vielfalt des Schmucks deutlich zu: Neben Anhängern und Broschen wurden auch Armbänder getragen, und die Bronzegießer stellten mit verschiedenen Techniken unzählige Formen her.
Die Scherben sind im Pfahlbaumuseum ausgestellt. (Ledl, T / CC BY 4.0)
Ab 2000 v. Chr. stellten die Metallarbeiter Werkzeuge, Waffen und Schmuck aus Bronze in verschiedenen Formen her. Zunächst wurden Kupfererze, die nahe der Erdoberfläche gefunden wurden, verarbeitet.
Zahlreiche Funde aus diesen Siedlungen sind in Museen ausgestellt und vermitteln Wissen über das Leben vor 5000 Jahren. In Freilichtmuseen wie dem Pfahlbaumuseum in Deutschland können Besucherinnen und Besucher rekonstruierte Häuser aus der Jungsteinzeit betreten, ihre Einrichtung begutachten und die damals verwendeten Alltagsgegenstände sehen - so wird eine Reise in eine längst vergangene Zeit möglich.
Bild oben: Farbenfroher Sonnenuntergang bei den Pfahlbauten der Stein- und Bronzezeit im Pfahlbaumuseum in Unteruhldingen am Bodensee, Baden-Württemberg. Quelle: murmakova /Adobe Stock
Von Michelle Freson
Exarc.net 2001 Pfahlbaumuseum Unteruhldingen (DE). Exarc.net. Verfügbar unter: https://exarc.net/members/venues/pfahlbaumuseum-unteruhldingen-de
Internationale Bodensee Tourismus GmbH. 2018. Ein versunkenes Weltkulturerbe sichtbar gemacht. Bodensee. Erhältlich unter: https://www.bodensee.eu/en/what-to-experience/map-of-lake-constance/lake-dwelling-museum-unteruhldingen_poi160
UNESCO 2018. Prähistorische Pfahlbauten rund um die Alpen. UNESCO. Verfügbar unter: https://whc.unesco.org/en/list/1363
Mombelli, A. 2011 Seenwohnungen offenbaren verborgene Vergangenheit. Swiss Info. Verfügbar unter: http://www.swissinfo.ch/eng/lake-dwellings-reveal-hidden-past/30542748