Wie der MDR berichtet, wurden bei Ausgrabungen in Sachsen-Anhalt in der Nähe von Martin Luthers Heimatstadt die Überreste eines verloren geglaubten Bauwerks aus dem Frühmittelalter freigelegt. In einem Kornfeld in der Nähe des Dorfes Eisleben gruben Archäologen die Grundmauern einer großen alten Kirche aus, die offenbar irgendwann in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts von keinem Geringeren als Otto dem Großen errichtet wurde.
Diese Kirche wurde an der Stelle des königlichen Palastes von Helfta erbaut, der einer der Wohnsitze von Otto dem Großen (Otto I.) war, einem deutschen König aus dem 10. Jahrhundert, der vor allem durch seine Herrschaft als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (962-973) bekannt wurde. Seit Mai graben Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt im Bereich der Kirche. Ihre Ausgrabungen haben nun die Umrisse des beeindruckenden sakralen Bauvorhabens Ottos des Großen freigelegt.
Emaillierte rechteckige Buntmetall-Fibelspange mit eingezogenen Seiten aus der Karolingerzeit, gefunden auf der Baustelle des riesigen Dom-Projekts von Otto dem Großen in Deutschland. (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt)
Ottos Kirche war alles andere als bescheiden. Es war ein großartiger und beeindruckender Bau, der seine Ambitionen verriet, den katholischen Gottesdienst wiederzubeleben und gleichzeitig seinen Machterhalt zu sichern.
"Dies ist eine prächtige, außergewöhnlich große Kirche, die die Bedeutung dieses Ortes in der Ottonenzeit beweist", sagt Archäologe und Bauleiter Felix Biermann. "Mit einer Länge von 30 Metern und einer Breite von rund 20 Metern hatte Otto tatsächlich eine Kirche gebaut, die einer Miniaturkathedrale gleicht."
Auch wenn die Entdeckung der Kirche neu ist, wird an der Fundstelle schon seit vielen Jahren gearbeitet. Archäologen fanden Ottos lange verschollenen Königspalast in Helfta, als sie 2009 eine geomagnetische Prospektion in der Gegend durchführten. Seit dieser bedeutenden Entdeckung haben sich die Ausgrabungen in der sachsen-anhaltinischen Landschaft immer weiter ausgebreitet und weitere Details über die weitläufige Anlage, die den schicken Landsitz Ottos des Großen umgab, ans Licht gebracht.
Neben dem Palast und der Kirche umfasste Ottos Anlage Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit Grubenhäusern, weitere höfische Wohngebäude für die Elite und einen Saal, in dem verschiedene Versammlungen oder andere Veranstaltungen abgehalten werden konnten.
Die Kirche ist jedoch eine besonders spannende Entdeckung angesichts der engen Verbindung Ottos des Großen mit der katholischen Kirche im Frühmittelalter. Es war seine Treue zum Glauben, die Papst Johannes XII. dazu veranlasste, ihn 962 zum Heiligen Römischen Kaiser zu ernennen, 26 Jahre nachdem er das Königtum übernommen hatte.
Zur Zeit des Baus war die Kirche der Heiligen Radegund geweiht. Sie war eine fränkische Königin aus dem sechsten Jahrhundert, die die Abtei des Heiligen Kreuzes in Poitiers in Frankreich gründete und noch heute die Schutzpatronin mehrerer europäischer Kirchen ist.
Nach der Untersuchung von Funden vor Ort glauben die Archäologen, dass Otto I. und sein Sohn und Nachfolger Otto II. die Kirche mindestens zweimal besuchten. Otto I. war offenbar bei der Einweihung der Kirche anwesend, was nicht verwunderlich ist, da das Bauwerk zweifelsohne auf seinen Geheiß errichtet wurde.
Ein genaues Datum für den Bau der Kirche ist bisher nicht bekannt. Spätestens im Jahr 968 scheint sie jedoch erbaut worden zu sein. Das bedeutet, dass sie entweder vor oder nach der Übernahme der Herrschaft über das Heilige Römische Reich durch Otto I. fertiggestellt worden sein könnte.
Statuen von Otto I. (Otto der Große), rechts, und Adelaide im Dom zu Meißen. Otto und Adelaide heirateten nach seiner Annexion Italiens. (Kolossos / CC BY-SA 3.0)
Als beliebter und fähiger König, der dazu beigetragen hatte, Deutschland zum mächtigsten Staat der Region zu machen, wurde Otto I. von Papst Johannes XII. als die perfekte Figur angesehen, um das Heilige Römische Reich wiederzubeleben. Dieses politische Bündnis aus mittel- und westdeutschen Staaten wurde ursprünglich im Jahr 800 unter der Herrschaft des fränkischen Königs Karl dem Großen gegründet, der von Papst Leo III. zum ersten Kaiser ernannt worden war.
Das Heilige Römische Reich war als Wiederbelebung des 476 erloschenen Weströmischen Reiches gedacht. Bis 924 war dieses ehrgeizige mehrstaatliche Projekt jedoch ins Stocken geraten und hatte im Grunde aufgehört zu existieren.
Während der Herrschaft Ottos des Großen als Kaiser, die von 962 bis zu seinem Tod im Jahr 973 dauerte, blühte das frisch wiederbelebte Heilige Römische Reich auf. Beflügelt durch den starken Neubeginn überdauerte das Heilige Römische Reich fast 900 Jahre, bis die Napoleonischen Kriege dem Bündnis im frühen 19. Jahrhundert endgültig ein Ende bereiteten.
Historiker betrachten Otto den Großen als den einflussreichsten der Führer des Heiligen Römischen Reiches. Als König baute er einen stärkeren Staat in Deutschland auf, und als Kaiser half er, die Königreiche Deutschland, Italien und Burgund unter dem streng katholischen Dach des Heiligen Römischen Reiches zu vereinen.
In einem Gräberfeld auf dem Gelände in Eisleben wurden die Skelettreste von etwa 70 Personen gefunden. Außerdem wurden mehrere Grabsteine geborgen, die die Bestattungen auf das 10. bis 15. Jahrhundert datieren. Dieser Friedhof war „die Begräbnisstätte für adelige Familien der Region“. (MDR Sachsen-Anhalt Heute)
Bei den Ausgrabungen in und um die verschüttete Kirche haben die Archäologen viele verschiedene Artefakte gefunden, die die Jahrhunderte überdauerten.
‘Es kamen Gürtelbeschläge, Gürtelschnallen aus Bronze, Münzen, Messer und verschiedene Utensilien zum Vorschein’, so Felix Biermann. ‘Zahlreiche Scheibenfibeln aus der osmanischen Zeit, aus Bronze, emailliert und mit Glaseinlagen in rechteckiger und runder Form, wurden ausgegraben.’
Ein interessanter Fund war ein Kachelofen, der offenbar sowohl im 14. als auch im 15. Jahrhundert in Gebrauch gewesen war.
Am faszinierendsten war jedoch ein Friedhof, in dem die Skelettreste von etwa 70 Personen gefunden wurden. Es wurden auch mehrere Grabsteine gefunden, die die Bestattungen auf das 10. bis 15. Jahrhundert datieren. Dieser Friedhof war laut Biermann "die Begräbnisstätte für adelige Familien der Region".
Nach ihrer Fertigstellung wurde die ‘Miniaturkathedrale’ Ottos I. mehr als 500 Jahre lang kontinuierlich genutzt. Abgerissen wurde sie einige Zeit nach dem Beginn der Reformation im Jahr 1517, als die endgültige Spaltung zwischen Protestanten und Katholiken die religiösen Praktiken und Einstellungen in ganz Europa veränderte. Da das nahe gelegene Eisleben die Heimatstadt Martin Luthers war, hatte das katholische Gotteshaus von Otto dem Großen wahrscheinlich keine Chance zu bestehen.
Doch selbst nach der Zerstörung blieben die Grundmauern der Kirche als dauerhafte Ruinen erhalten. Sie lagen jahrhundertelang unter dem fruchtbaren Ackerboden Sachsen-Anhalts begraben, bis sie schließlich von Archäologen entdeckt wurden, die mehr über die bewegte historische Vergangenheit der Region erfahren wollten.
Die Ausgrabungen an der Fundstelle sollen im September abgeschlossen werden. Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt ist jedoch optimistisch, dass in den kommenden Jahren weitere Mittel für weitere Ausgrabungen bewilligt werden.
Oberes Bild: Der Umriss der von Otto dem Großen erbauten Mini-Kathedrale fand sich in einem Maisfeld neben der Stadt Eisleben. Quelle: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Von Nathan Falde