Ein Team von Ausgräbern hat bei einer archäologischen Stätte in Chur (Schweiz) eine 1000 Jahre alte doppelseitige Form ausgegraben, die zum Schmieden von christlichem Schmuck verwendet wurde. Oder doch nicht? Die ungewöhnliche doppelseitige Form könnte von Heiden für andere Zwecke verwendet worden sein.
Archäologen des Archäologischen Dienstes Graubünden graben seit März 2020 in und um das kürzlich stillgelegte Gefängnis Sennhof. Das winzige Objekt soll aus der Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert stammen. Einem Bericht auf Swiss Info zufolge misst die Form 9 x 8,5 x 3 Zentimeter und ist aus geformtem Ton hergestellt. Es wird angenommen, dass die doppelseitige Form zum Schmieden von bis zu „sieben verschiedenen Arten von christlichen Gegenständen, einschließlich Ohrringen und einem Kruzifix“ verwendet wurde.
Vorderseite der kürzlich in der Schweiz gefundenen doppelseitigen Form mit Kruzifix und Kreuzmedaillon (Archäologischer Dienst Graubünden)
Das Artefakt ist zwar alles andere als spektakulär, aber es ist das erste seiner Art, das in der Schweiz entdeckt wurde. Bislang wurden ähnliche Objekte nur in Bern, Basel und Winterthur gefunden. Dieser winzige archäologische Schatz erweist sich jedoch als sehr wichtig für das Verständnis der turbulenten Zeiten rund um die Ankunft des Christentums in der Schweiz.
Das Christentum kam erstmals im späten 4. Jahrhundert mit römischen Soldaten in die Schweiz. Im Jahr 381 n. Chr. wurde es zur offiziellen Religion des Römischen Reiches erklärt. Nach dem Abzug der Römer blieb die Westschweiz unter den Burgundern christlich, während die Alemannen in der Nordschweiz bis ins 7. Jahrhundert heidnisch blieben. Der heilige Gallus (ca. 550-645 n. Chr.) ist als irischer Mönch bekannt, der die Menschen in und um Zürich und am Bodensee zum Christentum bekehrte.
Die auf der kürzlich in der Schweiz gefundenen doppelseitigen Form dargestellte Kreuzigungsszene ist dem Stil eines in Havreholm in Dänemark gefundenen Kreuzes sehr ähnlich. Und bei näherer Betrachtung der Symbole auf der Schweizer Tonform sind sie den nordischen Symbolen für ihren Gott Odin sehr ähnlich. Viele wikingerzeitliche Händler wurden mit Kreuzzeichen gekennzeichnet, um ihnen Zugang zu christlichen Handelszentren zu verschaffen, darunter auch zu denen in der Schweiz.
Laut einem Artikel von Natmus.Dk wurden die skandinavischen Wikinger nicht über Nacht zu Christen. Die alten Wikinger betrachteten das Christentum als eine Ergänzung ihres Götterhimmels. Daher war es relativ einfach, den neuen christlichen Gott zu akzeptieren. In der wikingerzeitlichen Gesellschaft wurde Christus in einem bestimmten Stadium neben Göttern wie Thor und Odin verehrt. Als das Christentum langsam den alten Glauben durch sorgfältige Neuinterpretationen traditioneller nordischer Ikonen und Symbole ersetzte, wurden viele Aspekte der alten Götter in den neuen christlichen Glauben übernommen.
Bei näherer Betrachtung der in Graubünden entdeckten doppelseitigen Tonform könnte man sich fragen: Ist das Jesus oder Odin am Kreuz? Ob man es glaubt oder nicht, die Geschichten von Jesus und Odin weisen überraschende Ähnlichkeiten auf..
Gravuren auf der Rückseite des Artefakts mit dem Rabensymbol an der Spitze. (Archäologischer Dienst Graubünden)
Die nordische Geschichte, in der der Gott Odin an Yggdrasil, dem nordischen Baum des Lebens, aufgeknüpft und erstochen wurde, ähnelt sehr der Geschichte von Jesus, der am Kreuz gekreuzigt und mit einem Speer durchbohrt wurde. Im Wesentlichen wurden beide Geistwesen durch Erhängen geopfert und anschließend erstochen. Beide Figuren verbrachten auch 3 oder 3x3 Tage in der Finsternis (Tod) ohne jegliche Hilfe von „anderen“ Gottheiten, nachdem sie sich für einen höheren Zweck geopfert hatten.
Gibt es noch andere Gründe, die den Verdacht nahelegen, dass es sich bei der Figur auf der doppelseitigen Form nicht um Christus handelt? Ein Blick auf die Rückseite der Gussform liefert eine überzeugende Antwort: das Bild eines Raben. In der Poetischen Edda aus dem 13. Jahrhundert wird die altnordische Mythologie ausführlich behandelt. In diesem Buch gibt es eine Beschreibung von Huginn und Muninn (übersetzt als Gedanke und Erinnerung). Huginn und Muninn war Odins Rabenpaar. Sie flogen über die ganze Welt und kehrten mit esoterischen Informationen zurück, die sie dann an Odin weitergaben.
Die Tatsache, dass diese klassischen nordischen und christlichen Symbole auf ein und demselben Abdruck zu finden sind, wirft eine Reihe neuer Fragen auf. Wie können die nordische Odin-Geschichte und die christliche Jesus-Geschichte so ähnlich sein? Diese ästhetischen Ähnlichkeiten könnten natürlich nichts weiter als Zufall sein. Für die Anhänger des Schweizer Psychiaters Carl Jung und des amerikanischen Mythologen Joseph Campbell ist dieses neu entdeckte Artefakt in der Schweiz jedoch ein wunderbares Beispiel für „Archetypen der Mythologie“. Und diese mythologischen Archetypen könnten durchaus für die so genannten „vergleichenden Zufälle“ in den Weltreligionen und der Folklore verantwortlich sein. Alles in allem also ein interessanter Fund.
Bild oben: Nahaufnahme der Vorderseite einer doppelseitigen Form, die kürzlich in der Schweiz gefunden wurde. Quelle: Archäologischer Dienst Graubünden
Von Ashley Cowie